"Wissenschaftsladen?"

Was ist ein Wissenschaftsladen?

Der Wissenschaftsladen Wien bindet BürgerInnen in die Forschung ein. Was versteht der Wissenschaftsladen Wien unter einem partizipativen Zugang zur Forschung?


Was ist ein Wissenschaftsladen?

Wissenschaftsläden sind Forschungs- und Beratungseinrichtungen, die sich unter der Einbeziehung von Betroffenen gemeinnütziger Belange annehmen. 1974, als der erste Wissenschaftsladen an der Universität Utrecht (Niederlande) gegründet wurde, dachte wohl noch kaum jemand daran, daß eines Tages die Idee, eine Forschungs- und Beratungsstelle für NGOs einzurichten, ein internationales Echo finden würde. Weltweit existieren mindestens 100 Wissenschaftsläden. In Deutschland, Großbritannien, Dänemark, Norwegen, Rumänien, Frankreich, Südkorea, den USA (dort heißen sie mitunter "Community Research Centers"), Kanada und Australien.

In Begegnung mit ähnlichen Initiativen und an lokale Bedingungen angepaßt, entwickelte sich aus dem ursprünglichen Modell eine erstaunliche Vielfalt an Organisationsstrukturen und Arbeitsweisen. Manche Wissenschaftsläden sind universitäre Einrichtungen, manche sind außeruniversitäre Forschungsinstitute. Die einen arbeiten nur mit gemeinnützigen Organisationen zusammen, andere auch mit Unternehmen oder lokalen Behörden. In den holländischen Wissenschaftsläden beraten und forschen vor allem Studierende, in anderen Ländern leisten diese Arbeit oft Graduierte. Manche Wissenschaftsläden verlangen prinzipiell oder nur bei zahlungskräftigen KlientInnen Honorare, die einen mehr, die anderen weniger, andere verlangen nie ein Honorar für ihre Arbeit oder staffeln die Kostenbeiträge nach der finanziellen Lage der Anfragenden. Beziehen die einen ihr gesamtes Budget von einer Universität, finanzieren sich andere teilweise oder gar zur Gänze aus Projektmitteln. - Generell sind Wissenschaftsläden Forschungs- und Beratungseinrichtungen, die sich unter der Einbeziehung von Betroffenen gemeinnütziger Belange annehmen. Sie vermitteln Forschungsergebnisse, die sie nötigenfalls in allgemein verständliche Sprache umformulieren, und konzentrieren eigene Forschungen auf Fragen, die von NGOs an sie gestellt werden, und Themen, die ihre Klientel betreffen und eine breite Öffentlichkeit interessieren.

Auf diese Weise verschaffen Wissenschaftsläden gemeinnützigen Organisationen (BürgerInneninitiativen, Selbsthilfegruppen, Vereinen u.ä.) Zugang zu Ergebnissen von Wissenschaft und Forschung, um zur Lösung von praktischen Problemen beizutragen. Durch die Arbeit der Wissenschaftsläden werden die Wissenschaften zur Lösung praktisch und gesellschaftlich relevanter Probleme eingesetzt, um zur Weiterentwicklung unserer Gesellschaft beizutragen.

In Österreich wurden die Wissenschaftsläden in Graz, Linz und Innsbruck wurden 1993 einer Evaluierung durch einen unabhängigen Beirat unterzogen. Die Wissenschaftsläden wurden sehr positiv bewertet.

Der Wissenschaftsladen Wien bindet BürgerInnen in die Forschung ein. Was versteht der Wissenschaftsladen Wien unter einem partizipativen Zugang zur Forschung?

Für gewöhnlich können BürgerInnen nicht (mit)bestimmen, welchen Fragestellungen Wissenschaft und Forschung nachgehen sollen. Der Wissenschaftsladen Wien eröffnet NGOs und BürgerInnen die Möglichkeit, gesellschaftlich relevante Fragestellungen in Wissenschaft und Forschung einzubringen. In Zusammenarbeit mit den BürgerInnen klären wir, welche dieser Fragestellungen sinnvoll beforscht werden können und welche Fachdisziplinen dafür geeignet sind. Falls gewünscht, diskutieren nach Abschluß der Forschungsarbeit ForscherInnen und BürgerInnen, wie die Forschungsergebnisse verwendet werden können. Das verstehen wir unter einem partizipativen Zugang zu Wissenschaft und Forschung.

Unter partizipativen Zugängen zu Wissenschaft und Forschung wird manchmal verstanden, dass BürgerInnen oder NGOs mitforschen sollen oder müssen, was oftmals weder sinnvoll ist, noch gewünscht wird (unter anderem auf Grund mangelnder fachlicher Ressourcen oder weil explizit der „Blick von außen“ gewünscht wird.). Es liegt u. U. eine Begriffsverwirrung vor, wobei die Einbindung von BürgerInnen in wissenschaftliche Projekte mit partizipativen Methoden gleichgesetzt wird. Als eigentlich partizipative Methode ist vor allem die Aktionsforschung zu nennen, in der es um Veränderung sozialer Gegebenheiten und Entwicklungsprozesse im Zuge des Forschungsprozesses geht und wobei die Rollen der ForscherInnen und Beforschten verschmelzen.

Im weitesten Sinne könnten alle sozialwissenschaftlichen Methoden, bei denen Menschen als InterviewpartnerInnen zur Verfügung stehen oder bei einer Gruppendiskussion mitmachen als "partizipativ" gelten, weil diese auch in irgendeiner Form aktiv „teilnehmen". In der Tradition der Sozialforschung werden diese teilnehmenden Menschen, ihre Meinungen, Gedanken und Reflexionen ernst genommen, der/die ForscherIn betrachtet sie als ExpertInnen in eigener Sache. Sozialforschung verpflichtet sich, die Aussagen und Beiträge von InterviewpartnerInnen, DiskussionsteilnehmerInnen oder Antworten in Fragebögen erschöpfend und ausgewogen darzustellen. Sie darf nicht werten oder aussortieren, indem sie Aussagen zu einem Thema in den Vordergrund stellt oder andere Aussagen herunterspielt oder unter den Tisch fallen lässt. Die häufig postulierte Hierarchie zwischen ForscherInnen und „Beforschten“ stimmt für die Sozial- und Kulturwissenschaften so nicht, da in diesen Disziplinen Hierarchien und Machtgefälle thematisiert werden, und die Forschenden ein entsprechendes Bewußtsein davon haben sollten.

Dennoch werden diese Methoden in den Sozial- oder Kulturwissenschaften i. d. R. nicht als partizipative Methoden bezeichnet. Aus unserer Sicht werden als partizipative Methoden meistens solche bezeichnet, wo versucht wird, die Rollentrennung ForscherInnen - Beforschte möglichst aufzuheben. Das kann manchmal sinnvoll sein, ist es aber nicht immer – und es ist auch nur in begrenztem Umfang möglich. Meistens schreiben am Ende doch die ForscherInnen die Berichte, die Protokolle, die Analysen und nehmen auch steuernde Funktionen im Forschungsprozeß ein. Für die Betroffenen ist eine Teilnahme meistens zeitintensiv und sollte sich auszahlen. Auch erlauben partizipative Methoden grundsätzlich keine Anonymisierung der einzelnen TeilnehmerInnen, die jedoch bei sehr vielen sozial- und kulturwissenschaftlichen Fragestellungen sehr zentrale Bedeutung haben kann. Außerdem sollte das häufig postulierte Machtgefälle zwischen WissenschaftlerInnen und Beforschten nicht überstrapaziert werden: Es werden keineswegs ausschließlich sozial Benachteiligte in Projekte eingebunden, sondern durchaus auch Personen mit realer Macht, wie PolitikerInnen, ManagerInnen von Unternehmen usw., und man könnte darüber diskutieren, welchen Platz die Forschenden in der sozialen Rangordnung ihres Projektes einnehmen. Zudem ist eine Trennung in ForscherInnen auf der einen Seite und LaiInnen auf der anderen Seite irreführend: alle Fachleute sind im Bezug auf andere Fachgebiete als die eigenen immer auch LaiInnen: ChirurgInnen sind für gewöhnlich keine ExpertInnen für archäologische Ausgrabungen.

Die Einbindung von BürgerInnen in die Forschung bedeutet für uns nicht, dass BürgerInnen „mitforschen“, auch hat sie bei uns nichts mit der Wahl der Forschungsmethoden zu tun. Die Methoden werden danach ausgewählt, ob sie geeignet sind, die Fragestellungen zu beleuchten (und natürlich auch, ob sie leistbar sind). Alle Kritierien guter wissenschaftlicher Praxis für bestmöglichste wissenschaftliche Objektivität und Unabhängigkeit der Forschung gelten auch für den Wissenschaftsladen Wien.

In der Dokumentation der 12. Internationalen Konferenz "Public Communication of Science and Technology" (PCST 2012) finden Sie auf den Seiten 374 - 376 einen Beitrag von Mitarbeiter/innen des Wissenschaftsladen Wien über ein neues Verfahren, zu European Awareness Scenario Workshops einzuladen. Die Dokumentation ist kostenlos per Download verfügbar: http://www.pcst2012.org/images/PCST2012_Book_of_Papers.pdf (6,83 MB).